Gudrun Ongania ist die Geschäftsführerin & Gründerin von ,Veg and the City’. Sie erklärt, warum uns die Natur widerstandsfähiger für den Alltag macht, eine Zimmerpflanze der Anfang von allem ist und die Selbstversorgung auf einem Zürcher Stadtbalkon leider unrealistisch ist.
Wir wollen mehr Natur in unserem Leben. Woher kommt dieses Bedürfnis?
Das ist ein Urbedürfnis von uns Menschen, denn die Natur ist ja eigentlich unser natürlicher Lebensraum und für unser körperliches und psychisches Wohlbefinden extrem wichtig. Da viele von uns in Städten und umringt von viel Beton wohnen und wir auch immer mehr Zeit digital verbringen, sind wir heute weiter von der Natur entfernt als noch vor zehn oder 20 Jahren. Da ist es verständlich, dass wir uns wieder mehr Ursprüngliches in unserem Leben wünschen. Sei es mit Zimmerpflanzen, sei es mit mehr Natur auf dem Balkon oder dem Wunsch nach Erde unter den Fingern. Wir können auch mehr in den Wald gehen. Die Natur entspannt uns und hilft, uns zu erden. Sie macht uns so resilienter für die Herausforderungen des Alltags.
Wenn wir uns die Natur nach Hause holen möchten – wie fangen wir am besten an?
Je nach Zeitbudget und Wohnsituation kann man z.B. schon mit einer Zimmerpflanze anfangen, welche die Luft reinigt. Für alle mit Balkon, Terrasse oder Garten, startet man am besten mit der Auswahl von den Pflanzen, die man gerne hätte und prüft, ob man auch genügend Sonne dafür hat. Duftende italienische Kräuter wie Rosmarin oder Thymian oder auch eine Tomatenpflanze brauchen sehr viel Sonne. Minze, Schnittlauch und Salat kommen auch mit Halbschatten gut klar. Sehr beliebt sind auch essbare Blumen wie Kornblumen, Ringelblumen oder Kapuzinerkresse. Hier haben auch die Insekten etwas davon.
Corona hat den Wunsch nach gesunden, frischen lokalen Lebensmitteln enorm gesteigert. Spüren Sie hier auch einen Trend hin zur Selbstversorgung?
Ja den spüren wir. Die Nachfrage nach Gemüse- und Kräutersetzlingen hat seit Corona noch mal extrem angezogen. Viele möchten sich vermehrt selbstversorgen. Hier muss man jedoch realistisch sein. Auf einem 3-6m2 Stadtbalkon ist eine komplette Selbstversorgung mit Gemüse, Kartoffeln, Getreide und Kräuterbedarf nicht realistisch. Bei einzelnen Sorten wie Salat, Tomaten oder Zucchini ist es hingegen möglich, genug für den Eigenbedarf anzupflanzen.
Ist Zürich eine gute Stadt für Urban Gardening und Urban Farming? Was wächst hier besonders gut?
Eigentlich ist jede Stadt mit genug Sonne eine gute Stadt für Urban Gardening und Urban Farming. Man kann grundsätzlich alles anpflanzen – der limitierende Faktor ist sicherlich die Gefässgrösse. Kohl braucht z.B. ein Gefäss mit 100 Litern Erde – das rentiert nicht auf dem Balkon. Beliebt sind weiterhin Beeren aller Art wie Himbeeren, Erdbeeren, Johannisbeeren, dann spezielle Tomatensorten und Kräuter für die Küche. Viele Kräuter sind ja mehrjährig und man hat lange was davon und kann sie auch gut verarbeiten. Konservierungsmethoden wie das Fermentieren sind ja auch voll im Trend. Dafür eigenen sich z.B. unter anderem Wurzelgemüsesorten gut.
Und dann sind Stauden, welche auch einen Nutzen für Bienen und Insekten haben, natürlich wahnsinnig gefragt. Das letzte Jahr waren Hanf und Hopfen der Renner. Dieses Jahr sind winterharte Passionsfruchtpflanzen sehr beliebt.
Was ist Ihre Prognose für die nächsten zehn Jahre: Wie werden sich Urban Gardening und Urban Farming in Zürich und der Welt noch verändern?
Wenn ich das genau wüsste! Ich beobachte die Bewegung seit gut zehn Jahren und glaube, dass der Trend
seinen Höhepunkt noch nicht erreicht hat. Ich denke, dass Urban Gardening in Zürich, aber auch weltweit, langfristig ein Teil unseres Lebensstiles sein wird. Urban Farming – das heisst die Lebensmittelproduktion in der Stadt im grossen Stil – wird sicher mit der Thematik der Ernährungssicherheit und auch des Klimawandels zunehmen. Ich denke, dass immer mehr Flächen dafür geschaffen werden. Was wir zukünftig dann anpflanzen, hängt sicher auch mit dem Klimawandel zusammen. Wie knapp wird die Ressource Wasser werden? Wie heiss werden die Sommer? Was hält den Temperaturen stand? Da gibt es sicher noch einige Veränderungen in den nächsten zehn bis dreissig Jahren.
Infobox
Grosser Stadtgarten in der Europaallee
FOOD ZURICH plant in der Europaallee gemeinsam mit ,Veg and the City’, Coop Bau & Hobby und SBB einen Stadtgarten mit vielen Nutzpflanzen. Hier wird es ab Juli bis September 2021 eine Vielzahl an duftenden Küchen- und Heilkräutern geben, aber auch unterschiedliche Gemüsesorten, Beerensträucher, Obstgehölze und Stauden. Für die Zürcher Bevölkerung entsteht mitten in urbaner Umgebung ein Ort der Entspannung, ein Ort zum Verweilen oder um sich für den eigenen Balkon oder Garten inspirieren zu lassen.