Wenn es um Essen aus dem Alpenraum geht, kommt man um ihn und seine Arbeiten nicht herum. Das kulinarische Erbe der Alpen wird von kaum einem besser in die Köpfe, Herzen und Mägen von vielen Menschen transportiert, wie von Dominik Flammer.
Dominik, du bist eine Person, die offensichtlich viel über Kulinarik nachdenkt. Du denkst gewisse Dinge gerne auch mal neu oder um. Was ist für dich aktuell ein kulinarischer Neugedanke?
Neu ist für mich insbesondere die ungemeine Vielfalt an Wildpflanzen, die man für die Herstellung von Getränken verwenden kann – und das auch immer schon getan hat. Vom wilden Weideröschen, aus dem ein sensationeller fermentierter Tee hergestellt werden kann, bis zum Sirup aus Kastanienblüten oder den traditionellen Absinth-Variationen, die mit wilder Brunnenkresse oder auch mit Brennnesseln eingefärbt und zusätzlich aromatisiert wurden. Deshalb arbeite ich zurzeit auch an der Enzyklopädie der trinkbaren Wildpflanzen, gemeinsam mit dem genialen jungen Pflanzenexperten Jonas Frei.
Und wer ist für dich der/die kulinarische Neudenker:in der Stunde?
Sicherlich gehört der Österreicher Sigi Tatschl dazu, der sich intensiv mit den neuen Exoten in unseren Obst- und Beerengärten auseinandersetzt. Er ist auch verantwortlich dafür, dass allmählich auch unsere Köchinnen und Köche begreifen, dass sie in ihren Gärten auch im Alpenraum nicht nur Schnittlauch, Petersilie und Thymian anbauen können, sondern auch Myoga-Ingwer, Szechuan-Pfeffer, papa-neuguineanisches Pilzkraut oder mexikanischen Oregano, nur um wenige Beispiele zu nennen.
Neudenken, umdenken, weiterdenken. Nicht alles, was glänzt, ist auch zukunftsversprechend. Was ist deiner Meinung nach kein Neugedanke, sondern vieleher ein Hype oder gar eine Schnapsidee?
Da ich mich über alle Trends und Hypes freue, die der heimischen Vielfalt nutzen, kann ich mich über nichts ärgern. Und all die Trends im Bereich des mit künstlichen Aroma- und massenhaft Zusatzstoffen versetzten Junk-Food-Produkte – von den beyond meet bis zu den Schlumpf-Gelati und Schwarzpulver-Bisquits – gehen an mir vorbei, da ich den ganzen Schrott nicht esse. Und mich auch kaum damit beschäftigen mag.
Wie stehst du zu Trends? Fluch oder Segen?
Von allen genussvollen Trends der veganen oder der vegatarischen Küche, ja selbst von jenen der Rohkost-Liebhaber, können wir alle nur profitieren. Bringt auch mehr, als sich über den vielfältigen und leider oft verbissen rechthaberischen Dogmatismus vieler Ernährungsformen zu echauffieren. Die Vielzahl der unterschiedliche Ernährungsformen ist ja schliesslich auch ein Zeichen unseres Wohlstands: Nur in einer übersättigten Gesellschaft hat man diese unglaublich grosse Wahl an Ernährungsformen. Sobald Mangel eintritt, isst wieder jeder und jede alles, was verfügbar ist. In der Not sind wieder alle Omnivoren. Da ich aber zur geographisch und historisch privilegiertesten Generation der Menschheitsgeschichte gehöre (wie wir in der Schweiz alle), sind all diese Trends für mich ein Segen, den jede Ernährungsform bereichert unsere Küche und unseren Speiseplan. Von den Junk-Hypes hingegen werden kurz- bis langfristig viele wieder verschwinden oder sich so wandeln, dass sie nicht mehr nur eine renditegierige Fettsuchtindustrie bedienen.
Was müsste in deinen Augen völlig neu gedacht werden?
Industrieschokolade: hier werden dermassen viel Kunst-Vanillin und andere künstliche Aromen oder unnötiges Sojaletzithin verwendet, dass die Zutatenliste an einen Beipackzettel der Chemieindustrie erinnert. Hochqualitative Schokolade benötigt keine solchen Zusatzstoffe. Sie arbeitet mit echter Vanille, mit echten Gewürzen und echten Nüssen, um nur wenige Beispiele zu nennen. Da lohnt es sich für jeden Einzelnen, weniger Schokolade zu essen, dafür aber handwerklich gefertigte Schokolade mit «echten» Zutaten.