Anna Pearson engagiert sich seit Jahren für Slow Food, eine weltweite Bewegung, die sich für gutes, sauber und fair produziertes Essen einsetzt und dafür, dass jeder Mensch Zugang dazu hat. Diese Überzeugung ist in all ihren Projekten zu spüren – auf genussvolle Art will Anna Pearson immer auch für einen nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln inspirieren.
Nach "zu Tisch" und "Pasta" schreibt Anna gerade an ihrem dritten Buch. Es geht dieses Mal um Fleisch, bzw. um den verantwortungsvollen Genuss damit.
Wie sieht deiner Meinung nach ein verantwortungsvoller Fleischkonsum aus?
Ein zentraler Punkt ist die Menge: wir essen viel zu viel Fleisch, das in diesem Mass nur auf Kosten von Tieren, Umwelt und Menschen hergestellt werden kann. Die Diskussion sollte aber nicht schon hier enden: Mich beschäftigt auch die Frage, welche Art von Fleisch wir sinnvollerweise essen, wie Fleisch also ökologisch, tier- und sozial gerecht produziert werden kann.
Die wichtigsten Punkte: In der Schweiz haben wir viel nicht ackerfähiges Grasland, darauf werden sinnvollerweise Wiederkäuer wie Kühe, Schafe und Ziegen für die Milch- und Fleischproduktion gehalten. Damit diese Tiere nicht in Nahrungskonkurrenz zum Menschen stehen, dürfen sie nicht zusätzlich mit Kraftfutter gefüttert werden. Aus diesem Grund müssen wir den Konsum von Schweinefleisch, Eiern und Poulet deutlich reduzieren: diese Tiere fressen in der heutigen Massentierhaltung vorwiegend importiertes Getreide und Soja, also Dinge, die auch wir Menschen essen könnten. Das Verfüttern von hochwertigen pflanzlichen Lebensmittel an Nutztiere ist nicht nur ethisch, sondern auch aus ökologischen Gründen verantwortungslos: für den Futtermittelanbau werden enorme Ressourcen aufgewendet und wertvolle Ökosysteme zerstört. Für eine ganzheitlich nachhaltige Produktion müssen wir auch zwingend von den heute üblichen Hochleistungstieren wegkommen und stattdessen auf langsamer wachsende, robuste Rassen setzen, die sich überhaupt erst für eine biologische Landwirtschaft eignen. Ich finde es auch sehr wichtig, lokale, kleinbäuerliche Strukturen zu unterstützen. Schliesslich gehört zu einem nachhaltigen Fleischkonsum auch die ganzheitliche Verwertung des Tieres von Kopf bis Fuss. Also: Weniger Fleisch, vor allem von Rind, Schaf und Ziege, davon alle Stücke, gekauft am besten direkt vom Bio-Bauernhof.
Der pro-Kopf-Konsum von Fleisch liegt in der Schweiz bei etwa 52 Kg im Jahr. Wieso essen wir (noch immer) so viel Fleisch?
Ich glaube, das hat viel damit zu tun, dass wir heute völlig entkoppelt sind von der Natur und von der Landwirtschaft. Viele wissen nicht, wie Lebensmittel produziert werden, welche Auswirkungen die industrielle Produktion hat. Und wie stattdessen eine wirklich nachhaltige Produktion und ein entsprechender Konsum konkret aussehen würde. Wir erhalten ja auch widersprüchliche Infos: Die einen fokussieren nur auf das Tierwohl, andere interessiert nur der ökologische Fussabdruck – das führt zu unterschiedlichen Kaufempfehlungen. Das komplexe Thema muss aber zwingend ganzheitlich betrachtet werden. Gute Aufklärung ist zentral, sodass Konsument:innen fundierte Kaufentscheidungen treffen können. Genau hier will ich mit meinem Buch ansetzen. Ich sehe aber auch die Politik in der Verantwortung: solange nicht nachhaltig produziertes Fleisch so billig angeboten wird – was unter anderem deshalb möglich ist, weil die Produktion und Vermarktung tierischer Nahrungsmittel stark subventioniert wird – ist es nicht erstaunlich, dass viel zu viel davon gegessen wird. Müsste man den wahren Preis bezahlen für Fleisch, würden wir automatisch weniger davon essen. Gewohnheit ist sicher ebenfalls ein nicht zu unterschätzender Punkt: Gut pflanzenbasiert zu kochen muss man auch zuerst einmal lernen. Spätestens seit Ottolenghi sollte das aber eigentlich kein Problem mehr sein!
Aktuell sind Fleischersatzprodukte und fleischlose Alternativen gefühlt allgegenwärtig. Wie stehst Du zu zu diesen Produkten?
Es braucht keine Ersatzprodukte, um gut fleischlos oder sogar vegan zu kochen – vor allem nicht, wenn diese von irgendwelchen Grosskonzernen hochindustriell aus nicht nachhaltig angebauten Rohstoffen hergestellt werden. Ich verstehe aber, dass es ungeübten Köch:innen leichter fällt, weniger tierische Produkte zu essen, wenn sie ab und zu zu einem Ersatzprodukt greifen, insofern haben solche Produkte wohl eine gewisse Daseinsberechtigung.
Wie sieht denn dein Menuplan für diese Woche aus?
Aktuell arbeite ich an einem Projekt zum Zweinutzungshuhn. Ich entwickle Rezepte, die speziell an die Fleischqualität dieser langsamer gewachsenen Bio-Tiere angepasst sind – deshalb gibt es bei uns zu Hause gerade sehr viel Poulet zu essen. Für alles andere besuche ich in den Hofladen «unseres» Demeterbauern: ich schaue, was er gerade im Angebot hat und überlege dann spontan, was ich damit kochen will.
In der Gastronomie findet man immer mehr plant based Restaurants. Welche Ausgeh-Empfehlungen kannst du unseren Lesern für Zürich geben?
Mich interessieren Restaurants, die nicht nur gut, sondern auch möglichst konsequent mit nachhaltig produzierten Lebensmitteln kochen – egal, ob mit oder ohne tierischen Produkten. Beim Fleisch finde ich Lokale spannend, die Tiere möglichst ganzheitlich verwerten. In Zürich sind das vielleicht eine Handvoll Restaurants – mein Liebstes ist das Gamper. Weiter gefallen mir das Silex, die Wirtschaft im Franz, die Ziegelhütte, das Rechberg, die Ramen-Lokale Miki und Ikoo. Zizi Hattab zeigt in ihren Restaurants KLE und DAR, wie eine vegane Küche geht, in der man nichts vermisst. Es lohnt sich aber auch, aus Zürich rauszufahren, zum Beispiel auf den Biohof Stucki in Oberwil bei Winterthur. Hier serviert Simon Schneeberger unter dem Namen «i tavoli del vagabondo» seinen Gästen im Gewächshaus auf höchstem Niveau Gerichte, die er mit den Produkten vom Hof zubereitet.