Verfeindete Stämme, die am selben Tisch sitzen und gemeinsam Zmittag essen? Der Verein Cuisine sans frontières ermöglicht genau das. Anna Hofmann ist die Geschäftsleiterin und sagt “gemeinsames Essen ist für mich zentral”. In Krisensituationen sei dies umso wichtiger - in Kriegszeiten wie aktuell in der Ukraine erst recht. Cuisine sans frontières arbeitet darum mit Adi Hadean zusammen, ein rumänischer Koch und Gastronom. Er kocht für die Tausenden von Geflüchteten, vor allem Frauen und Kinder, die täglich in Rumänien ankommen. Wer dazu einen Beitrag leisten möchte, kann dies hier tun. Das Stadtgespräch hier in der Folge gibt einen zusätzlichen, vertieften Einblick in die Arbeit von Cuisine sans frontières.
„Frauen nehmen für den sozialen Zusammenhalt oft eine wichtige Rolle ein“
Anna Hofmann, Sie sind Geschäftsleiterin von Cuisine sans frontières. Was tun Sie tagtäglich?
Meine Arbeit als Geschäftsleiterin von Cuisine sans frontières ist enorm vielfältig. Vom direkten Austausch mit den Menschen in unseren weltweiten Projekten, zum Gespräch mit freiwilligen Helfer:innen hier in der Schweiz oder der Planung und Umsetzung von Aktivitäten, um Geld für unsere Engagements zu sammeln – es gibt viel zu tun! Cuisine sans frontières wächst seit der Gründung 2005 konstant und erreicht damit immer mehr Menschen. Viele dieser Kontakte initiieren wir in der Geschäftsstelle in Zürich und spannen damit unser Netzwerk in der Schweiz und der ganzen Welt.
Warum tun Sie, was Sie tun?
Essen und insbesondere der soziale Aspekt und die Wichtigkeit des (gemeinsamen) Essens, sind für mich seit ich denken kann, zentral. Unsere Kernaufgabe dreht sich genau darum: am Esstisch Gemeinschaft zu fördern. Die logische Folge ist also, dass ich mich mit Cuisine sans frontières dafür einsetze, dass das auch dort wieder möglich ist, wo ein Konflikt oder eine Krisensituation dieses Zusammenkommen verhindert haben.
Sie unterstützen Menschen in Krisengebieten oder sozialen Konfliktsituationen. Was ist schwierig und was erfreut Sie an dieser Arbeit?
Eine grosse Freude ist der Austausch mit Menschen auf der ganzen Welt und gemeinsam – wir arbeiten für die Umsetzung vor Ort immer mit lokalen Partnerorganisationen zusammen – etwas zu erreichen, eine Situation zu verbessern. Diese Verbesserungen sind manchmal ganz augenfällig und freuen einen sehr direkt, manchmal sind sie viel subtiler und sorgen für ein gutes Grundgefühl in dem, was wir tun. Herausforderungen gibt es in unseren Einsatzgebieten immer, aber sonst wären wir ja nicht dort engagiert. Eine anspruchsvolle Aufgabe ist bei der Projektentwicklung eine Partnerorganisation zu finden, mit der die Zusammenarbeit gut funktioniert, mit der wir unsere Werte und die Ziele des Projektes teilen.
Welche Rollen spielen die Frauen bei diesen Projekten?
In unseren Projekten arbeiten wir oft mit Frauen zusammen, denn in vielen Gemeinschaften nehmen sie für den sozialen Zusammenhalt eine wichtige Rolle ein. Wenn wir uns dafür einsetzen wollen, dann müssen wir also mit den Frauen arbeiten. Entsprechend messe ich ihnen eine wichtige Rolle bei – aber für eine funktionierende Gemeinschaft braucht es die Inklusion aller: Frauen, Männer, Kinder.
Können Sie uns ein konkretes Projekt nennen, wo die Frauen im Fokus stehen?
In den vergangenen Jahren haben wir zwei Projekte lanciert, die sich in erster Linie an Frauen richten. Zum einen die Soufra Cafeteria in einem Flüchtlingscamp im Libanon, zum anderen das Foyer FAMA in Burkina Faso, das vertriebenen Frauen und ihren Kindern einen sicheren Ort und eine Gemeinschaftsküche als Arbeitsmöglichkeit bietet. Diese Projekte stossen vor Ort, aber auch bei den Menschen hier in der Schweiz auf grosses Interesse. Das zeigt, dass wir damit ein grosses Bedürfnis treffen, schliesslich bleiben gerade in Konfliktsituationen Frauen und Kinder häufig schutzlos zurück.
Für ein anderes Projekt haben Sie junge Gastronom:innen aus dem Amazonasgebiet in Ecuador nach Basel geholt. Erzählen Sie bitte!
Bei unserem Ausbildungsprojekt El Fogon in Ecuador startet derzeit bereits der zweite Kurs unseres zwölfmonatigen Ausbildungsprogramms für Gastronomie und Tourismus. Die Studierenden sind junge indigene Menschen aus dem Amazonasgebiet in Ecuador. Das Bohren nach Erdöl zerstört den Regenwald und damit ihre Lebensgrundlage. Gleichzeitig bietet die Region ein enormes Potenzial für einen ökologischen Tourismus. Dort setzen wir an und bilden jedes Jahr 25 Studierende aus. In Zusammenarbeit mit einer ecuadorianischen Universität, damit die Diplome auch staatlich anerkannt sind. Letztes Jahr konnten die zwei besten Studierenden aus dem ersten Kurs ein Praktikum in der Schweiz im Hotel Les Trois Rois in Basel absolvieren. Das war für die zwei eine einmalige Erfahrung und für uns eine grosse Freude, dass wir so ein tolles Netzwerk haben, das einen solchen Einsatz möglich macht.
Wie hat sich das Projekt weiterentwickelt?
Im Rahmen unseres Ecuador Engagements ist das Projekt Choco Samona entstanden: Wir haben die Bauern der Kooperative Samona Yuturi darin begleitet, eine Tree-to-Bar-Schokolade herzustellen – mitten im Amazonas! Diese Schokolade ist wirklich toll geworden und man kann sie in Zürich im BachserMärt, im Schokoladengeschäft von Schwarzenbach und im Changemaker kaufen oder bei den Crowd-Projekten von gebana bestellen.
Unterstützen Sie auch Projekte in der Schweiz? Die Gastronomie hat hier während der Corona-Krise ja auch gelitten…
Im Kontext der Corona-Krise haben wir letztes Jahr das Stamm:Tisch Stipendium für couragierte Gastromacher:innen lanciert – auch dank der grosszügigen Unterstützung der zwei Stipendiumsstifter Martin Hofer und Senn Resources AG. Wir unterstützen damit einen Gastrobetrieb, der mit einem innovativen Konzept einen Beitrag zum sozialen Zusammenhalt in einem peripheren Gebiet der Schweiz leistet. Gewonnen hat dieses erste Stipendium Alice Huber, die das Garni Bar Post in Castasegna im Bergell leitet – die peripherste Bar der Schweiz! Alice Huber ist eine bemerkenswerte Frau und mit ihr zusammenzuarbeiten sehr motivierend.
Sie sitzen hier in Zürich und helfen etwa Menschen im Libanon eine Cafeteria aufzubauen. Wie ist es, in dieser wohlhabenden Stadt zu arbeiten?
Ich fühle mich sehr privilegiert, dass ich in der Schweiz aufgewachsen bin und hier leben kann – dieses Privileg ist nicht selbstverständlich und nicht mein Verdienst. Darum will ich es nutzen, um einen Beitrag zu leisten, dass das Leben für möglichst viele Menschen auf der Welt möglichst lebenswert ist – unabhängig davon, wo sie geboren sind und leben.
Wie spannend finden Sie die Zürcher Food Szene?
Da wir jedes Jahr unsere Benefizveranstaltung, den Kitchen Battle, in Zürich organisieren, verfolgen wir natürlich genau, was in der Food Szene passiert, insbesondere bei den Restaurants. Bisher ist es uns immer wieder gelungen, neue und spannende Team-Kombinationen für die Kitchen Battles zu finden – ich würde darum sagen, es geht was und das ist spannend!
Welches Herzensprojekt wollen Sie bei Cuisine sans frontières in den nächsten fünf Jahren unbedingt umsetzen?
Wir haben in den vergangenen Jahren verschiedene Projekte neu konzipiert, aufgebaut und wertvolle Erfahrungen dazu gesammelt, was gut funktioniert und was weniger. In den kommenden Jahren würden wir diese Erfahrungen gerne so einsetzen, dass wir die erfolgreichen Konzepte in vergleichbaren Kontexten nochmals umsetzen – zum Beispiel unser Friedensprojekt, das Gemeinschaftsrestaurant Calabash in Orwa (Kenia), das von Menschen aus ehemals verfeindeten Stämmen geführt und besucht wird. Oder die Cafeteria im Flüchtlingscamp im Libanon, die ein wichtiger und sicherer Treffpunkt für Frauen aber gleichzeitig auch Arbeitgeber für sie ist.
Info Box
Anna Hofmann (40) ist Geschäftsleiterin von Cuisine sans frontières (Csf). Sie studierte Journalismus und Kommunikation in Winterthur. In Kontakt mit Csf kam sie 2007 als sie begann, zusammen mit ihrer damaligen Arbeitgeberin, den Verein pro bono zu unterstützen. 2010 wurde der Csf-Vorstand von drei auf fünf Leute erweitert, im Folgejahr wurde Anna Hofmann angefragt, ob sie die Geschäftsleitung übernehmen wolle - sie wollte! Aus dem Arbeitsaufwand von ein paar Stunden im Monat ist ein Vollzeitjob geworden, das Team der Geschäftsstelle besteht mittlerweile aus drei Personen.